Ewige Chemikalien: versteckte Gifte im Körper – DW – 23.02.2023 (2024)

Das "Forever Pollution Project" hat Orte unter die Lupe genommen, die von den Ewigkeitschemikalien belastet sind. Sie fanden mehr als 17.000 verschmutzte Orte, darunter über 2000Hotspots.

Was haben Regenjacken, Pizzakartons, Verpackungen von Tiefkühlgemüseund beschichtete Pfannen gemeinsam?Sie alle enthalten sehr wahrscheinlich sogenannte PerflourierteAlkylverbindungen (PFAS). Darunter fallen über 4500 verschiedene menschengemachte Substanzen, die unserer Gesundheit schaden können und in der Natur gar nicht oder erst nach sehr langer Zeit abbaubar sind. Experten nennen sie deshalb auch"forever chemicals" (ewigeChemikalien).

"PFAS gehören zu den bedrohlichsten Chemikalien, die jemals erfunden wurden", sagt Roland Weber, Umweltberater für die Vereinten Nationen. Längst finden sich Rückständedavon weltweit überall -in Böden, Trinkwasser, Tieren, Lebensmitteln - und auch im menschlichen Körper.

Ewige Chemikalien: versteckte Gifte im Körper – DW – 23.02.2023 (1)

Bin ich selbst betroffen?

98 Prozent der US-Bürger haben PFAS im Blut. Bei Studien in Indien, Indonesien und den Philippinen wurdendie toxischenSubstanzenin fast allen Proben von Muttermilch nachgewiesen. Und auch in Deutschland hatjedes Kind ewigeChemikalien im Körper; ein Fünftel in so hoher Konzentration, dasskritische Werte überschritten werden.

Ich frage mich: Habeichdas Zeug auch in mir? Das herauszufinden istgar nicht so einfach, dennnur wenige spezialisierte Labore in Deutschland können die Analysen durchführen. Dann klappt es aber doch und ich schicke eine Blutprobe ans Institutfür Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin (IPASUM) in Erlangen, Süddeutschland.

Von der Hoffnung, vielleicht selber keine PFAS im Körperzu haben, mussich mich damit verabschieden.

Ewige Chemikalien: versteckte Gifte im Körper – DW – 23.02.2023 (2)

Das Institut hat mein Blutaufdie bekanntesten "forever chemicals" getestet: PFOA und PFOS. Sie können Leber- und Nierenschäden verursachen, zu geringerer Fruchtbarkeit bei Männern führen, das Gewicht von Neugeborenen und die Wirksamkeit von Impfungen verringern, undin hohen Konzentrationen zuKrebs führen. Neueste Studien zeigen auch einen Zusammenhang mit schweren COVID-19 Verläufen.

Bei mir zeigtder Labortest0,0000045 Gramm dieser Chemikalien pro Liter Blut - das entspricht dem tausendfachen Bruchteil eines Sandkorns. Damit liegeich im deutschen Durchschnitt - und erreiche nur ein Zehntel derkritischen Grenzwerte.

"Bei diesen Konzentrationen besteht nach dem heutigen Wissensstand kein Risiko", sagt Professor Thomas Göen vom IPASUM, dermeine Werte analysierthat.

Beruhigen kann mich das aber nicht, denn in der Wissenschaft ist bisher noch nicht abschließend geklärt, ab wann genau ein erhöhtes Risiko besteht. "Die Stoffe sind sehr persistent. Siekönnen sichim Körper anreichern. Und das ist das Hauptproblem, dass sich am Ende eine Dosis anreichern kann, die eine problematische Konzentration sein könnte", erklärtGöen.

Ewige Chemikalien: versteckte Gifte im Körper – DW – 23.02.2023 (3)

Weil diese chemisch hergestellten Substanzen so stabil sind,können sie in der Natur nichtbiologisch abgebaut werden, und der Körper kann sie nur sehr langsam ausscheiden. Verfahren, sie künstlich aufzuspalten, stecken noch in den Anfängen.

Wie kommen sie in die Umwelt und unseren Körper?

Genau diese Stabilität macht PFAS so nützlich, sie sind extrem wasser-, fett- und schmutzabweisendund werden in fast jeder Industrie eingesetzt;inKunstleder, Fotopapieren,Pestiziden, Schäumen zum Feuerlöschen ebenso wie in Farben oder beim Flugzeugbau.Menschen nehmen PFAS vor allem über Lebensmitteln auf. Besonders Fisch, Fleisch, Milch, Eier und Gemüse aus kontaminierten Regionen können erhöhtePFAS-Werte haben.

Ewige Chemikalien: versteckte Gifte im Körper – DW – 23.02.2023 (4)

Über Mülldeponien, industrielle Abwässer und Abgase, oder beim Waschenvon Outdoorbekleidung gelangen Rückstände in die Umwelt, die meisten Kläranlagen können sie nicht herausfiltern.

PFAS wurden bereits inentlegenen Bergen Patagoniens, im Schnee der Antarktis und den Bergen des Altai in Russland gefunden, in Eisbären, Vögeln und Delfinen.Einige Tiere, die hohen PFAS-Konzentrationen ausgesetzt sind, zeigen Veränderungen des Hormonspiegels sowie der Leber-und Schilddrüsenfunktion.Welche Effekte die Stoffe auf Ökosysteme haben, ist bisher kaum erforscht.

Ewige Chemikalien: versteckte Gifte im Körper – DW – 23.02.2023 (5)

Erst für die Atombombe, dann für den Haushalt

Eine der erstendieser PFASwurde 1938 vom amerikanischen ChemiekonzernDuPont hergestellt:PTFE.Weil esMetall auch bei hohen Temperaturen vor Korrosion schützen kann, kam die neue Substanz auchbei derEntwicklung der ersten Atombombezum EinsatzUnter dem Markennamen "Teflon" erhielt PTFE später in Form von beschichteten Pfannen Einzug in Haushalte in aller Welt. Teflon wurde ein riesiger kommerzieller Erfolg. Doch1998 bekamdie effektive Antihaftbeschichtung einen deutlichen Kratzer, alshundert Kühe eines Viehzüchters nahe einemTeflon-Produktionsbetriebin Parkersburg, West Virginia "eine nach der anderen tot umfielen", sagt Robert Bilott. Er ist Umweltjurist und langjähriger Verteidiger des Viehzüchters in dessen Rechtstreit gegen DuPont.Der Bauer"konnte weißschäumendes Wasser sehen, das aus einer Mülldeponie neben seinem Grundstück kam", soBilott gegenüber der DW. Es kam heraus, dass Tausende Menschen in der Region durch das PFAS-haltige Abwasser der DuPont-Fabrik und die leckende Müllkippe verseucht waren. Dokumente belegen, dass DuPont - im Gegensatz zu staatlichen Behörden - schon seit Jahrzehnten von der Gefahr wusste, den giftigen Stoff aber weiter in die Umwelt ableitete. Studienlegen nahe, dass derhohe PFAS-Gehalt in der Region mit vermehrten Fällen von Nieren- und Hodenkrebs zusammenhängt. 2017 stimmte DuPont zu, 671 Millionen Dollar Ausgleichszahlungen wegen Körperverletzung in 3550 Fällen an die Opfer zu überweisen.

Ewige Chemikalien: versteckte Gifte im Körper – DW – 23.02.2023 (6)
Ewige Chemikalien: versteckte Gifte im Körper – DW – 23.02.2023 (7)
Ewige Chemikalien: versteckte Gifte im Körper – DW – 23.02.2023 (8)

Industrie kreativ bei Schlupflöchern- und Alternativen?

Auch in anderen Ländern, darunterden Niederlanden, Belgien und Italien gab es Vorfälle mit PFAS Kontaminationen in der Umwelt oder imTrinkwasser.Schrittweise werden inzwischen einzelne PFASin der EU, den USA und Japan verboten. Die Belastung in der Bevölkerung mit diesen Stoffen nimmt seitdem stetig ab. In Deutschland hat sie sichseit 1990 im Schnittmehr als halbiert.

DieIndustrie steigt darumauf eine neue Generation von PFAS um, die sich chemisch nur minimal von den Vorgängern unterscheiden,aber bisher nicht verboten sind.

Wie kann ich mich schützen?

Und was heißt das jetzt für mich persönlich? Ich bin etwas ratlos.Wie soll ich etwas vermeiden, dasfast überall drin steckt, ohne das es auf der Packung drauf steht?Immerhin,beschichtete Pfannenhaben bei mir jetzt ausgedient. Ich war noch nie ein Fast-Food-Fan und mag Essen und Trinken "To Go" sowieso nicht so sehr, alsoder Teil meiner Speisekarte rutscht jetztnoch weiter nach unten,damitvermeide ichPFAS-haltigesEinweggeschirr. Doch zur Packung mit gefrorenem Spinat(eine Kindheitserinnerung)werde ich weiter nicht nein sagen können. Dafür überlege ich, einenWasserfilterzu installieren, den gibt es als Karaffeoder für den Wasserhahn, um zumindest einige PFAS aus dem Trinkwasser zu filtern.

Und der Druck auf die PFAS wächst. Seit einerGreenpeaceKampagne produzieren mehrereOutdoor-Marken wie Vaude, Paramo oder Rotauf inzwischen ihre Kleidungohne "forever chemicals". Auch die schwedische MöbelketteIkea hat sie nach eigenen Angaben aus ihren Produkten verbannt. UndLänder wie Deutschland, Dänemark, Norwegen und Schweden drängen darauf, bis 2030 alle PFAS in der EU aus dem Verkehr zu ziehen.

Im Artikel wird der Fachbegriff Polytetrafluorethylen verwendet. Die Abkürzung dafür ist PTFE und nicht PFTE. Wir haben den Fehler korrigiert.

Dieser Artikel wurde ursprünglich am 12.03.2021 veröffentlicht und nun mit den neuenErkenntnissendes "Forever Pollution Project" ergänzt.

Ewige Chemikalien: versteckte Gifte im Körper – DW – 23.02.2023 (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Lidia Grady

Last Updated:

Views: 6486

Rating: 4.4 / 5 (45 voted)

Reviews: 92% of readers found this page helpful

Author information

Name: Lidia Grady

Birthday: 1992-01-22

Address: Suite 493 356 Dale Fall, New Wanda, RI 52485

Phone: +29914464387516

Job: Customer Engineer

Hobby: Cryptography, Writing, Dowsing, Stand-up comedy, Calligraphy, Web surfing, Ghost hunting

Introduction: My name is Lidia Grady, I am a thankful, fine, glamorous, lucky, lively, pleasant, shiny person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.